Kirgistan 2004: Die Fahrt Moskau – Ural

03.10.04 – abends Wir sind froh, als wir den Ring um Moskau verlassen können. Bei dem hohen Verkehrsaufkommen ist es für Alexander und Dirk äußerst stressig Kontakt zu halten. Nun geht es in Richtung Ural und damit dem Ende Europas entgegen. Die Stimmung an Bord ist prima und das, obwohl unser 5. Fahrer äußerst gewöhnungsbedürftig ist. Er kann oder will nicht begreifen, dass ein 75 PS Sprinter nicht annähernd so schnell beschleunigt wie sein Bruder mit über 100 PS. Also ergeht Order der Reiseleitung: die lahme Krücke fährt vorne und bestimmt die Geschwindigkeit. Mit dieser Entscheidung wird der in unserem Dunganen schlummernde Macho erheblich strapaziert. Ab und zu gehen die Gäule mit ihm durch und er zieht stolz an uns vorbei. Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass ihm die Vorgabe besondere Schwierigkeiten bereitet, wenn eine Frau am Steuer sitzt. Gut, dass wir bereits in den arabischen Staaten Erfahrungen mit diesem Machogehabe gemacht haben und es nicht persönlich nehmen. Richtig ärgerlich ist, dass sowohl Zeit- als auch Kilometerangaben unseres „Kraftfahrers“, der angeblich die Strecke schon oft gefahren ist, äußerst wage, ungenau oder ganz falsch sind.

04.10.04 – 3:00 Endlich, nachdem wir über 200km mehr fahren mussten als durch Junus vorgegeben, kommen wir an dem versprochenen bewachten TIR-Parkplatz an. Hier treffen wir auf Djuscha – einen Freund von Rahim – mit ihrem Autotransporter. Im roten Sprinter gibt es keine Übernachtungsmöglichkeit für den Dunganen, so übernachtet er auf unserer Rückbank. Gut, dass wir durch den Vorhang eine abgeteilten Schlafecke haben. Es ist bitterkalt und trotz meines dicken Schlafsacks und einer zusätzlichen dicken Wolldecke friere ich erbärmlich. Nächste Nacht werde ich zusätzlich noch meine Fleecehose anziehen!
6:00 allgemeines Wecken, aber Dirk und ich drehen uns noch einmal um, wir sind noch soooo müde!
km 2690 – 6:30 Nach erbarmungslosem Klopfkonzert stehen wir dann doch auf, Dirk springt in seine Klamotten und los geht die Jagd weiter hinein in den „wilden Osten“. Während der Fahrt starte ich einen kleinen Kulturversuch – waschen mit feuchten Tüchern und Kleiderwechsel. „Guten Morgen liebe Sorgen seit ihr auch schon alle da…“, die erste Radarkontrolle dieses Tages und beide Sprinter sind natürlich dabei. Angeblich 40 km zu schnell!? Nach zähen Verhandlungen beginnt der neue Tag mit 50 € Strafe! Wir müssen erkennen, dass nicht nur Zöllner, sondern auch die Polizisten äußerst korrupt sind. Aber wir lassen uns den Tag nicht vermiesen und genießen die wunderschöne Landschaft, durchfahren ein kleines russisches Dorf mit einem hübschen, orthodoxen Holzkirchlein. Gerne würde ich anhalten, um wenigsten ein paar Fotos zu schießen, aber wir haben nur ein Dreitagevisum für die Russische Föderation und noch eine lange Wegstrecke vor uns. Das Land ist von unbeschreiblich Weite. Birken- und Laubwälder säumen die Straße, dazwischen immer wieder kleine Dörfer mit alten, oftmals baufälligen, teils aber auch gut instand gehaltenen Holzhäusern mit bunt gestrichenen Fenstern, Fensterläden, Türen und Toren.


Plötzlich ein geschlossener Bahnübergang. Die Bahnstrecke kreuzt die vierspurige Autostraße 😳. Ein „Schnellzug“, bestehend aus einer Lok und einem Personenwagen fährt vorbei. Die Straßenführung außerhalb der Orte ist schnurgerade, manchmal fahren wir viele Kilometer geradeaus. Die Ortschaften sind reine Straßendörfer. Die Landschaft wechselt von reinem Birken- in Kiefernwald, dessen Untergrund morastig ist. Und dann wieder Steppenlandschaft mit sandigem Grund. Im Vergleich zu den wenigen Eindrücken aus der Großstadt Moskau mit ihren riesigen Einkaufszentren, wirken die Straßendörfer ärmlich. Ich sehe keinerlei Industrie, es gibt nicht einmal Kleinstbetriebe. Agrawirtschaftliche Nutzung scheint nicht zu lohnen, es gibt nur direkt an den Häusern kleine Gärten. Auch die Tierhaltung scheint lediglich der Deckung des Eigenbedarfs zu dienen. Möglich ist beides nur da, wo der Untergrund nicht sumpfig ist.

8:00 Seit Moskau folgen wir der E22. Wir erreichen Nizhniy Novgorod, eine Industriestadt mitten in der Pampa mit städtischer Infrastruktur und O-Bussen. Autos, Häuser, Geschäfte und Industrieanlagen erscheinen äußerst marode. Erstmals sehen wir nun die Wolga. Weiter geht’s hinein ins weite Land, das rechts und links der Straße „unterm Pflug“ ist. Schade, wir haben sehr trübes Wetter und Nieselregen.
km 2940 – 9:30 Frühstück gegenüber einer der vielen Polizeistationen am Wegesrand.

Es ist ganz schön kalt, nur gut, dass es heißen Tee gibt. Wir bekommen Besuch vom „Osterei“. Eigentlich begleitet er Djuscha und den PKW-Transporter als 2. Fahrer. Aber er hat für sich in Litauen einen alten Audi erstanden. Da er natürlich mit dem PKW wesentlich schneller ist, hat er Zeit für ein kleines Pläuschchen bei heißem Tee und Ingwer-Honigkuchen. Der Besuch des „Osterei’s“ gibt mir Zeit für eine gründliche Morgentoilette.

Km 3190 – 19:35 !!!!!!!!!
19:30 Einkehr in einer „Fernfahrerraststätte“.cimg0127_2134479396_o Bestellt wird an der Rezeption bei Vorkasse, serviert wird später am Tisch. Hier gibt es nach Junus Auskunft eine Duschmöglichkeit. Die Inspektion verläuft positiv, Toiletten und Duschen sind okay. Endlich duschen und vor allem Haare waschen. Fönen nein, sauber ja, gestylt nein. Was soll’s, man kann nicht alles haben ☺. Die Gaststättentoiletten bedürfen besonderer Erwähnung, denn in einer Reihe an der Wand lang befinden sich etwas erhöht die ortsüblichen Stehtoiletten. Alle sind durch dünne Wände getrennt, sauber und verfügen sogar über Keramikbecken. Wir vermissen jedoch die Türen. Also wähle ich die letzte Kabine der Reihe, denn so bin ich jedenfalls sicher vor Durchlaufkunden. Als ich die zwei Stufen emporklimme sehe ich zu meiner großen Freude, dass zwischen den Wänden eine Leine gespannt ist, über der jeweils eine blaue Mülltüte hängt. Wenn man – hier Frau – die Tüte herablässt, ist das stille Örtchen vor neugierigen Blicken geschützt. Später erzählt Dirk, dass bei ihm die blauen Tüten fehlten. Pech gehabt!


Spät abends verliert unser Dungane in einer kleinen Stadt die „Fährte“. Angeblich kennt er die Strecke wie seine Westentasche und sein Stolz verbietet es eine Straßenkarte zu benutzen. Obwohl wir uns in der Nähe einer Polizeistation befinden, weigert er sich standhaft, dort nach dem Weg zu fragen. Statt dessen weckt er lieber den Fahrer eines am Straßenrand parkenden Autotransporters. Erst als er von dort und auch bei einem weiteren Autofahrer keine klare Aussage erhält, fragt er dann doch bei der Polizei nach. Und nun lerne ich „Greenhorn“ meine Lektion, denn Auskunft wird durch den Beamten nur gegen Gebühr in Form einer Trillerpfeife, einer Schokolade, einem Paket Chips und einem Paket Trinkschokoladenpulver erteilt.

05.10.2004 2:30 Ortszeit
Kurze Schlafpause, wegen allgemeiner Fahruntauglichkeit. Trotz unserer Fleecehosen will es im Schlafsack nicht richtig kuschelig werden. Vielleicht ist es auch eine durch Schlafmangel bedingte innere Kälte. Nach einem kurzen Nickerchen geht es weiter, das Drei-Tage-Durchreisevisum setzt uns erheblich unter Druck.

Gerne wechselt Helene für ihre Morgentoilette und natürlich zum Plaudern zu uns. Vorhang und Gardinen zu und schon hat man seine eigenes kleines Reich, ohne neugierige Blicke zu fürchten. Die Heckfenster sind zwischenzeitlich sowieso so schmutzig, dass kein Durchblick mehr möglich ist.
Durch schöne und abwechslungsreiche Landschaften fahren wir weiter.

km 3880 – 06.10.2004 – 0:30 Zwei  Stunden allgemeine Schlafpause auf einem bewachten TIR-Parkplatz im Ural. Wir befinden uns immer unterhalb der Baumgrenze. Alles ist inzwischen gut eingespielt, um schnell aufzubrechen. Weil es heute so kalt im Auto ist, beeilen wir uns noch mehr: Schnelles Aufstehen, das Auto anlassen, anziehen und los. Als ich unsere Gardinen öffne, will ich meinen Augen nicht trauen: Schnee auf den Scheiben, auf unseren Autos, Schnee überall. In der Nacht hatte es ca. 3 cm Neuschnee gegeben. Wir haben Glück, es ist Matschschnee und so bleibt uns das Aufkratzen der Scheiben erspart. Die Straßen haben eine leichte Schneedecke, die Bäume weiße Mützchen, aber die Straße ist nicht glatt. Gefrühstückt wird später, wenns hell und etwas wärmer ist.

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