Kirgistan 2004: Die Tradition und die Küche

Es ist ein erheblicher Unterschied etwas über die Stellung der Frau in den Medien zu sehen oder darüber zu lesen, als nun mitten in einer Familie den Alltag zu erleben. Sicher sind bzw. waren die Regeln bei ihrer Festschreibung vor einigen hundert Jahren sinnvoll. Vermutlich waren sie sogar im Verhältnis zu den in Europa geltenden Regeln revolutionär. Aber heute, wäre m.E. eine Reform oder zumindest eine Modifikation einiger Traditionen sicherlich sinnvoll. Auch viele der vor über tausend Jahren niedergeschriebene Vorgaben zum Schutz der Frauen waren damals bei nomadisierenden Völkern sicherlich sinnvoll und notwendig. Aber Neid den heutigen staatlichen Strukturen und Rechtsordnungen und im Blick auf eine immer enger zusammenwachsende Welt und einen weltweiten Informationsfluss sind die Vorschriften größtenteils überflüssig. So genießen die Töchter aufgeklärter und liberaler  Elternhäusern die gleiche Schulbildung wie die Jungen, sind soweit möglich aktiv im Internet und fast Knallen Haushalten s einen Fernseher. Doch dann verändert sich alles grundlegend mit der sehr frühen Eheschließung. Für eine Berufsausbildung oder gar ein Studium bleibt keine Zeit. Die jungen Frauen in unserem Gasthaushalt besitzen eine fundierte Schulausbildung, sind sehr fleißig  und äußerst kreativ. Die 17jährige Tochter besucht zur Zeit die Highschool, aber was kommt danach? Irgendwann, möglichst früh, denn dann sind die Chancen auf dem Heiratsmarkt am besten, werden auch diese Töchter in die Familien der Ehemänner abgegeben. Und selbst wenn sie einen guten Schulabschluss mitbringen, steht es nach der Hochzeit im Belieben der neuen Familie, ob das Mädchen Ausbildung oder Studium aufnehmen kann oder der Schwiegermutter im Haushalt helfen muss. Nur bei gravierenden Vorkommnissen im Haushalt der Schwiegereltern haben die Eltern der jungen Frau die Möglichkeit einzugreifen. Rahim erklärt uns noch einmal, dass, sollte eine verheiratete Tochter sich aus einem legitimen Grund im Haushalt ihrer Eltern aufhalten, der Schwiegersohn nach der Tradition grundsätzlich nicht im Haus übernachten darf. In so einem Fall müsse der Schwiegersohn, wenn er in der Nähe seiner Frau sein will, in ein Hotel o.ä. ziehen. Wenn sich also Rosa nach den 10 Tagen Bedenkzeit für ihren Ehemann entscheidet gibt es für sie im Normalfall keine Rückkehrmöglichkeit in ihre Familie. Sie ist auf Gedeih und Verderb ihrem Ehemann und dessen Familie ausgeliefert. Da die jungen Frauen in der Regel keine Berufsausbildung besitzen, sind sie bei einer Scheidung bis auf den Brautschmuck völlig mittellos. Für mich ist das alles schwer nachvollziehbar, aber, ist man in dieser Tradition aufgewachsen, so ist der Blickwinkel vermutlich ein anderer. Ich bin sehr, sehr dankbar, in Westeuropa geboren zu sein? Schwierig ist m.E. der Einfluss der Medien, denn über sie werden Bilder einer ganz andere Rollenverteilung in die Häuser gebracht.

Inzwischen haben sich die Jungvermählten für eine Tournee durch die Verwandtschaft der Braut gestylt. Für Rasul sehr einfach, schwarzer Anzug, weißes Hemd und Krawatte, fertig. Die junge Braut sieht richtig niedlich aus.  Sie trägt einen roten traditionell geschnittenen Hosenanzug mit gleichfarbigem Kopftuch und farblich passenden hochmodischen Schuhen. Und… man zeigt was man so an Schmuck hat ☺, nicht übertrieben,  sondern wirklich schöne Ohrringe, Ringe und Ketten. Ich denke, dass es sich um einen Teil des im Film gesehenen Brautschmucks handelt.

Helene und ich starten – es wird für die ganze Zeit ein beliebter Treff- und Sammelpunkt – mal wieder zu einem Ausflug in die Küche, um bei den Vorbereitungen für das morgige Fest zuzuschauen. Ganz entspannt, ohne Verantwortung zu tragen, einfach nur zuschauen, toll ☺. Helfen ist ausdrücklich verboten. Schade, dass ich kein Wort russisch spreche, denn die Frauen versuchen immer wieder mich in ihr Gespräch mit einzubinden. Natürlich wird uns immer wieder etwas zu essen angeboten oder zumindest von den Speisen zu probieren. Den obligatorischen schwarzen Tee können wir nicht ablehnen.

Das Essen ist lecker, aber sehr fettig  und heute auch noch voller Zwiebeln. Selbst die Süßspeisen sind ausgesprochen fett. Da halte ich mich doch lieber an meiner Teetasse fest, die kontinuierlich nachgefüllt wird. Auch das ist eine Tradition, wird die Tasse vom Gastgeber nicht nachgefüllt, so ist der Besuch zu ende. Dem vielen schwarzen Tee verdanken ich, dass mein Magen die Essgelage bisher gut überstanden hat. Eine kurze Arbeitspause der Küchencrew nutze ich für ein Fotoshooting. Die direkte Begutachtung der digitalen Bilder sorgt das für allgemeine Erheiterung.

Ach ja, wir haben ja schon lange nichts mehr gegessen, also wird mal wieder warmes Essen serviert ☺. Es gibt auch ein paar der für morgen vorbereiteten Teigtaschen. Sie bestehen aus einem dünn ausgerollten Hefeteig. Dieser wird in Kreisform ausgestochen und mit einer Hackmasse, bestehend aus halb Fleisch halb Zwiebeln gefüllt sind. Anschließend werde die Teigtaschen kunstvoll zusammengepackt und über Dampf gegart. Für Dirk wurde eine Extraportion mit ganz wenig Zwiebeln zubereitet. Doch auch ganz wenig Zwiebeln sind für Dirk mehr als genug 😒.

Helene hat versprochen für die Gastfamilie Vanillepudding zu kochen, der bei unseren dunganischen Gastgebern völlig unbekannt ist. Und tatsächlich, wir dürfen uns der Küchencrew anschließen. Milch fehlt und so verarbeiten wir einen Teil der Trockenmilch unseres Reiseproviant. Ich bin begeistert, denn ich kann keinen Unterschied zu normaler Milch schmecken. Was vermutlich damit zusammenhängt, dass ich deutlich mehr Milchpulver verarbeitet habe. Milchpulver ist unserem Küchenteam unbekannt, so möchten am Ende alle kosten. Das Auge isst bekanntlich mit und so bekommt der Pudding noch eine Schoko-Deko. Trotz der engen  Küchenverhältnisse und trotz der zwei spielenden Kindern klappt alles prima. Lediglich die Eischneeherstellung nach Großmutterart misslingt mir. Hoffentlich trifft der Pudding den Geschmack der Festgästen.

Der Gottesdienst in der alten Gemeinde von Helene und Alexander beginnt morgen schon um 9:00 Uhr, also Wasche ich noch schnell die Haare. 22:30 für mich ist der Tag zu Ende, die Männer palavern noch im „Bühnenzimmer“. Ein Raum neben der Küche ausgestattet mit einer kleinen Vitrine mit verglastem Oberteil, einem Fernseher und Videorecorder. Ungefähr die Hälfte des Raumes ist erhöht und mit Teppich und Sitzmatten belegt, daher unsere vereinfachte Bezeichnung „Bühnenzimmer“.

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