Kirgistan 2004: Der Ausflug zum Issyk-Kul

11.10.04 Auch heute ist frühes Aufstehen angesagt, unsere Gastgeber planen mit uns einen zweitägigen Ausflug zum Issyk-Kul-See, dem zweitgrößten Gebirgssee der Erde.
Nach dem Frühstück herrscht hektische Betriebsamkeit im Innenhof, denn es wird eine Unmenge von Tüten und Taschen in Djuschas VW-Bus gepackt. Ich bin mal gespannt, was wir so alles mitnehmen, denn so viel braucht man doch nicht für eine Übernachtung. Zu unserer großen Überraschung wird es ein richtiger Familienausflug. Mit dabei sind Djuscha, seine Frau und ihr jüngster dreijähriger Sohn Ajupp, Rahim, Ayscha und die vierjährige Enkelin Shakira und wir vier.
Shakira ist Dirks „kleine“ Freundin“. Sie wurde kurzerhand durch ihn in Lieselotte umgetauft. Sie ist genauso hibbelig wie die Freundin meiner Mutter.
Wir fahren nun durch das sich ganz allmählich verengende Tal, gesäumt auf der linken Seite von den kasachischen und auf der rechten Seite von den höheren kirgisischen, bereits schneebedeckten Bergen des Terskej-Alatau, Richtung Osten. Je weiter wir fahren, um so mehr Felder säumen rechts und links die Straße. Die Freiflächen dazwischen werden durch kleine Schaf- und Rinderherden – teils mit Hirten -, beweidet. Schon bei der ersten kleinen Toilettenpause, wir sind vielleicht gerade mal eine Stunde gefahren, bietet Ayscha aus dem Fundus der unzähligen Tüten Gebäck, Obst und Süßigkeiten an. Irgendwie erinnert mich diese ewige Völlerei das an das Märchen von Hänsel und Gretel ☺.
Inzwischen hat sich die Landschaft vollständig verändert. Die spärlicher werdende Vegetation erinnern mich an die Hammada’s durch die wir vor 2 Jahren bei einer Rundreise durch Marokko gefahren sind. Doch dann wird das Tal wieder weiter und fruchtbarer und wir erreichen auf 1600m den Issyk-Kul. Zur Mittagspause biegen wir von der Hauptstraße ab. Über eine Schotterpiste fahren wir an das Seeufer, um an einer kleine Sandbucht Halt zu machen. Der See ist gesäumt von Sanddornbüschen, übervoll mit reifen Beeren. Auf meine Nachfrage, ob diese wie bei uns zur Herstellung von Marmelade, Saft u.ä. genutzt werden, kommt ein klares Nein. Diese Nutzung ist Ayscha und Helene unbekannt. Sie erzählen uns, dass die reifen Beeren gesammelt werden, um daraus Öl zu pressen. Das wird für medizinische Zwecke, hauptsächlich zur Herstellung von Brandsalbe, verwandt. Und schon kommen einige Einheimische zum Sanddorn pflücken vorbei. Sie fordern uns auf unseren Müll auch wieder mitzunehmen. Es klingt wie Hohn, denn rundherum liegt bereits eine Unmenge von Unrat. Wie bereits gesagt, Umweltbewusstsein gleich Null.

Rahim und Djuscha kümmern sich um den Grill, das Holz wurde von zu Hause mitgebracht. Heute gibt es Schafschaschlik. Ein vorbeikommender älterer Mann erklärt etwas unwirsch, das hier Lagerfeuer verboten sind. Unsere Beiden kümmert es wenig. Derweil richten unsere Gastgeberinnen den Picknickplatz her. Da unsere Hilfe abgelehnt wird, trinken wir heiße Schokolade und lassen die schöne Aussicht auf uns wirken. Es ist toll hier und ich könnte mir gut vorstellen hier einmal einen Treckingurlaub zu verbringen. Aus Kisten, Körben und Tüten werden Süßigkeiten, selbst gebackene Plätzchen, Honigkuchen, frisches usbekisches Fladenbrot, Tomaten, Gurken und was sonst noch für ein anständiges dunganisches Picknick notwendig ist hervorgezaubert. Der Tee ist fertig und auch die ersten Schaschlikspieße suchen Abnehmer. Die Kinder hocken fasziniert im Sand und schauen über den See zu den hohen schneebedeckten Bergen am anderen Ufer. Wir alle sind fröhlich und ausgelassen, genießen die Ruhe und das schöne Panorama. Helene und ich gehen davon aus, dass sowohl die beiden Frauen als auch die Kinder bisher noch niemals hier waren oder etwas ähnliches erlebt haben.

Auch das schönste Picknick geht einmal zu Ende und wir müssen noch ein Nachtquartier suchen. Also alles zurück ins Auto und weiter in Richtung Osten. Je weiter wir fahren, um so schöner wird die Aussicht. Mittlerweile sind auch die Berge auf unserer Seeseite zum Greifen nah und ihre Gipfel sind schneebedeckt. Je weiter wir fahren, um so höher werden die Gipfel am anderen Seeufer. Wir fahren durch kleine Ortschaften. Es gibt moderne Neubauten bzw. im Bau befindlichen Häuser überwiegend im westlichen Stil. Die Männer haben im Moment keine Zeit die Aussicht zu genießen, sie halten angestrengt Ausschau nach einer Unterkunft. Sie entscheiden sich dann für eine Nobelunterkunft – Hotel Aurora Issyk-Kul – die sicherlich für kirgisische Verhältnisse überdimensioniert ist.
Wir hatten die Übernachtung als Geschenk für unsere Gastgeber geplant, aber nein, all unsere Einwände werden „vom Tisch gefegt“, wir sind eingeladen. Schon auf dem Parkplatz plagt uns das schlechte Gewissen, denn die Übernachtung in diesem Hotel ist sicherlich sehr teuer.
Das Auto wird auf dem bewachten Parkplatz, der genauso hoch eingezäunt ist, wie das gesamte Hotelareal, abgestellt. Offensichtlich wird das gesamte Gelände streng bewacht. Und nun folgt, bepackt mit Taschen, Tüten, einem Eimer mit Obst und Tomaten, Tüten voll gepackt mit Fladenbrot und Gebäck, einem Sixpack Mineralwasser und dem für einen Hotelbesuch notwendigem Gepäck, der Einzug unserer Karawane zum Einchecken. Bevor wir das Gelände betreten dürfen passieren wir eine Wachstation mit angegliedertem Schlafraum.

Bei „Licht“ betrachtet wird uns klar, dass die guten Jahre des Hotels vorbei sind, es ist stark renovierungsbedürftig. Der Grundriss des Gebäudekomplexes erinnert an ein Schiff. Das Hotel liegt in einem schönen Park, mit großem Spielplatz, langen Alleen aus Birken und Zypressen und großen noch in voller Blüte stehend Rosenbeeten. Außerdem gibt es viele hübsche, kleine und große Wasserbecken und einen Teich. Der hoteleigene Fitnessparkur ist allerdings total überaltert. Am Seeufer erwartet uns ein langer geharkter und sauberer Sandstrand. Dort gibt’s Bänke und Hollywoodschaukeln die zum Verweilen einladen, einen langen Pier in den See hinein und Metallgerüste, die bespannt im Sommer als Sonnenschutz dienen. Die Ruderboote sind leider schon für den Winter aufgestapelt. Schade, eine Ruderpartie hätte den Kindern sicherlich viel Spaß gemacht. Das alles hier ist schon erstaunlich, besonders, da wir bisher keinerlei touristische Infrastruktur angetroffen haben. Die beiden Frauen, die bisher außer zu Familien- und Arztbesuchen und zum Einkaufen und Arbeiten von zu Hause fort waren, muss diese „Pracht“ förmlich überrollt haben. Und dann erst die Zimmer, mit großer Terrasse zum See, mit Fernseher, Kühlschrank und kleinem Badezimmer westlichen Standards. Die Aufenthaltsräume und der Speisesaal sind im „russischem Stil“ gehalten, kirgisisch ist hier mal gar nichts. Das gesamte Personal in Livree, wobei der Service ist so „naja“. Vielleicht wurde das Wort „Service“ noch nicht ins russische übersetzt 😧, denn die Kellnerin ist beim Servieren des Abendessens unhöflich und arrogant. Das uns die vollen Teller nicht unterm Besteck weggerissen werden ist verwunderlich. Djuscha ist praktizierender Moslem und fragt nach, ob das Fleisch geschächtet wurde. Seine Frage wurde einfach ignoriert und so verzichtet er auf den Fleischgenuss. Seine Frau beteiligt sich gar nicht am Abendessen. Unsere Gastgeber kommen zwar, aber Ayscha ißt ebenfalls nicht mit. Nervig ist die äußerst laute Pop-/Rockmusik russischer Herkunft, mit der das gesamte Hotel beschallt wird. Neben unserer kleinen Reisegruppe befinden sich nur noch wenige Gäste im Speisesaal. Dann gibt es noch eine ca. 20 Personen umfassende deutsche Reisegruppe. Wir alle sind müde von den vielen schönen Eindrücken und so gibt es ein frühes Zubettgehen. Wir verabschieden uns lautstark vor der Zimmertür unserer Gastgeber. Ayscha lädt noch ein zu ihnen ins Zimmer zu kommen, um dort mit ihr, Djuschas Frau und den Kindern zu Abend zu essen. Dirk und ich weigern uns aber standhaft.

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