Kirgistan 2004: Die Fahrt Ural – Kasachstan

05.10.2004 Landschaftlich haben wir uns den Ural wie die Alpen, mit schroffen Felsen und tiefen Tälern vorgestellt. Rechts und links der Passstrasse ähnelt er jedoch unseren sanft gewölbten Mittelgebirgen. Die Strecke führt Schnur gerade aus durch dichte Laubwälder.  Dazwischen liegen kleine russische Dörfer mit ihren typischen kleinen Holzhäusern, wie wir sie aus Dr. Schiwago kennen. Alles in allem sehr malerisch. Besonders begeistert uns die endlose Weite ohne störende Städte und Industrieansiedlungen. Man könnte meinen wir wären mutterseelenallein unterwegs, doch dann, unerwartet, wie aus dem Nichts steht plötzlich jemand am Straßenrand. Ob er wohl auf eine Mitfahrgelegenheit oder ein öffentliches Verkehrsmittel wartet? Es gibt kleine, roh gezimmerten Unterständen, an denen Äpfel, Birnen und anderes zum Kauf angeboten werden. Unser Zeitlimit ist eng und so nehmen wir uns nicht die Zeit, um für etwas Umsatz zu sorgen oder einfach ins Gespräch zu kommen. Inzwischen ist die Straße ausgesprochen schlecht. Musik kann nur bei voller Lautstärke gehört werden, Unterhaltungen sind wegen der Geräuschkulisse anstrengend. So gehen wir unseren Gedanken nach und genießen  die angenehme, stille Landschaft. Ganz oft denke ich an die Bilder aus dem Film „So weit die Füße tragen“ 

Was unsere Beschaulichkeit unterbricht sind die ständigen Polizei- und Radarkontrollen. Gestern war Rekordtag,  viermal  mussten wir wegen diverser Verstöße Strafen bezahlen. Zum Geld kommen immer noch aufstockend Naturalien. Ich gestehe, daß wir ab und zu etwas zu schnell unterwegs sind, doch was hetzen sie uns auch so durch ihr Land.

Auf zum Tankstopp in der russischen Föderation, hier sogar mit angeschlossenem Hotel in einem ausrangierten Schlafwagen. An einem Kassenhäuschen wird durch ein kleines vergittertes Fenster die gewünschte Literzahl angegeben und Cash gezahlt. Erst dann wird die Säule freigeben. Die Tankpistole ist mit einem Stein blockiert. Soweit so gut, aber … wenn man sich verschätzt, läuft der überschüssige Diesel einfach auf die Erde. Pfeift der Kunde laut genug und der Tankwart hört es, wird der Hahn von innen wieder abgedreht. Schon etwas gewöhnungsbedürftig, von Umweltbewusstsein keine Spur. Offensichtlich haben sich viele unserer Vorgänger verschätzt, denn rund um die Tanksäule befindet sich ein kleiner  Aral- nee Dieselsee.

km 4444  Abendessen ist angesagt, Junus knurrt der Magen – wir lernen schnell, Essen ist für Dunganen äußerst wichtig 🙂 -. Fakt ist, daß unser Reisebegleiter uns kaum Zeit zum Schlafen einräumt, aber es ist immer Zeit für ein warmes Essen in einem Restaurant. Heute ist frischer Fisch im Angebot, super, da schlagen auch wir gerne zu.

Im Stillen beginnen wir aufzuatmen, denn es sind nur noch 295 km bis zur russisch/kasachischen Grenze und wir liegen gut im Zeitfenster. Ob wir noch heute Abend die Grenzstation erreichen, bleibt, bei diesen miserablen Straßenverhältnissen, abzuwarten. Wir fahren bei gutem Wetter durch eine phantastische Landschaft, bunt gefärbte Birkenwälder so weit das Auge reicht. Was mich noch mehr beeindruckt sind die herrlichen Wolkenformationen am Himmel.

Selbst bei grauer Bewölkung wirkt die Landschaft lieblich, die goldgelben Birkenwälder sorgen für die notwendigen Lichtpunkte. Außerdem, welch ein Wunder, schon seit Stunden keine Polizeikontrolle. Um keinen Stress aufkommen zu lassen, darf unser Dungane fahren wie er will und wir zockeln mit unserer lahmen Krücke einfach hinterher. Irgendwann wartet der Dungane dann doch und wir schaffen es aufzuschließen. Aber, bekanntlich soll man den Tag nicht vor dem Abend loben und jetzt liegt wieder einmal eine Grenzstation vor uns.
km 4627 – 05.10.04 – 18:50 An einem offiziell aussehenden kleinen Haus werden wir angehalten, der Beamte überfliegt unsere Papiere, schaut recht gelangweilt in unsere Autos und nach einigem Palaver dürfen wir weiter fahren. Völlig erstaunt über die schnelle Abfertigung, belehrt uns Alexander, dass es sich hier nur um die vor der Grenze übliche Polizeikontrolle handelte. Bis zur eigentlichen Grenzstation müssen wir noch ein ganzes Ende fahren.
Bei einsetzender Dunkelheit bemerken wir die schlechte Ausleuchtung der Straße. Jetzt muss die einzige „Reparatur“ auf der ganzen Fahrt durchgeführt werden: Scheinwerferbirne rechts am weißen Sprinter ersetzen :-).
Um 20:20 erreichen wir die Grenzstation. Dort wartet bereits eine lange Schlange LKW’s, dabei viele PKW-Transporter, auf Abfertigung. cimg0186_2134504536_o Die aufgeladenen PKWs haben die gleiche Tarnfarbe wie unsere beiden Sprinter, schlammbraun. Wie lange wird es wohl heute dauern?
Grosses Kino bereits zu Anfang, angeblich befinden wir uns bereits den 4. Tag in der russischen Föderation, haben jedoch nur ein 3-Tage-Visum. Aber …, unsere Einreise erfolgte am 03.10. um ca. 8:00, heute ist der 05.10. ca. 20:20,  also läuft die Frist doch erst am 06.10. gegen 8:00 aus. Wir sind nicht zu spät!!! Der geforderte „Verspätungszuschlag“ ist horrend und ich bin das erste Mal richtig wütend 😡. Dirk begleitet, zwecks Lösung des Rechenproblems, Alexander in die verstreut liegenden kleinen Grenzgebäude. Dort wurde Dirk sogar von einem deutsch sprechenden Beamten „verhört“. Sein deutscher Wortschatz bestand aus „Löw“ (Löwe?) und „Fünfzig Euro“ (na klar)! Dieses Mal sollten wir es nach meiner Meinung einmal darauf ankommen lassen und notfalls beim deutschen Konsulat in Novosibirsk Hilfe anfordern,  denn das Recht ist eindeutig auf unserer Seite. Es dauert und dauert, mir ist kalt und langweilig, also besuche ich Helene. Sie ist es auch, die mich wieder „runter“ holt. Sie erklärte mir, das, sollten wir uns wirklich querstellen, sie – aufgrund ihrer früheren russischen Staatsbürgerschaft – mit erheblichen Schwierigkeiten rechnen müssen. Daneben habe sie gehört, dass sich in den verlassenen und angeblich verplombten Fahrzeugen bei erneuter Durchsicht auf einmal Drogen oder ähnliches befunden hätten. Seltsam, oder? Selbst bei Inanspruchnahme der deutschen Vertretung, könne die Abwicklung Tage dauern. Die Blödköpfe brauchen doch nur bei der Eintritts-Grenzstation nachfragen. Irgendeines der unzähligen Formulare mit dem korrekten Datum  müsste dort doch noch auffindbar sein. Alexander erzählt uns später, dass zwar telefoniert wurde, mit wem und wozu wisse er nicht. Angeblich kam es zu dem Rechenfehler, weil die weißrussischen Grenzer ihren Einreisestempel auf das Formular der russischen Föderation gedrückt hätten. Wer’s glauben mag. Zum Schluss wird auch diese Hürde durch  Zahlung eines Wegezolls genommen.

Noch eine kurze Randbemerkung zu dem Umfeld an der Grenzstation.  Das Gelände ist eine riesen große Schlammwüste, d.h. Schlamm in Höhe von mindestens 5 cm, an einigen Stellen auch deutlich höher, bedeckt das gesamte Gelände und die Strasse. Dirk berichtet, dass sich die gleiche Schlammmassen auf den Böden der Büros befand: “man hätte dort problemlos Rasen säen können“.

In der Hoffnung, dass nun der administrative Teil beendet ist, begebe ich mich wieder in unser Auto, aber … jetzt kommen Dirk und Alexander mit 4 Grenzbeamten im Schlepp anmarschiert. Die Grenzer lassen sich vom Toilettenpapier bis zu den Geschenken, über Lebensmittel bis zu den Medikamenten alles zeigen. Kisten und Koffer müssen geöffnet werden. Der Beamte, der den Innenraum von der Schiebetür aus begutachtete, spricht etwas englisch, so bin ich in der Lage, die gewünschten Auskünfte ohne Dolmetscher zu erteilen. Was ihn an unseren Hygieneartikeln interessiert bleibt mir verschlossen. Wenigsten betritt er mit seinen Dreckfüßen nicht meinen sauberen Teppichboden. Dirk meint später, ich hätte so böse drein geschaut und der armen Mann sei völlig verängstigt gewesen.
Wir sind immer noch nicht fertig 😤, es folgt noch ein langes Palaver in verschiedenen Büros der Grenzstation. Obwohl ich rechtschaffend müde bin, muß aber erst einmal das ganze Durcheinander aufgeräumt werden. Als ich fertig bin, kämpfen unsere Männer immer noch mit der Bürokratie und so nutze ich die Zeit und krabbel in unsere Schlafkoje.
Zeitgleich mit unserem Auto wird auch der rote Sprinter in Augenschein genommen. Allerdings sind die Grenzer dort weniger rücksichtsvoll und trampelten mit ihren schlammigen Dreckslatschen durch den gesamten Bus. Helene erzählt mir später, dass ebenfalls Kisten und Taschen einschließlich der Kühltasche inspiziert wurden. Natürlich erhielten die „Durchsuchungsmannschaften“ die obligatorischen Süßigkeiten. Da  Abendbrotzeit ist, lehnte der Kühltaschenprüfer die Süßigkeiten ab, verlangte Deftiges, nahm sich den Ring Bauernmettwurst aus der Kühltasche und ging von dannen. Da angeblich (Junus) keine Reservekanister gebraucht werden, erhielten sie auch die alten Ölkanister.

Bei dem Erzählten handelt es sich wirklich nur um die „Spitze eines äußerst trüben Eisberges“. Dirk und ich werden das Gefühl nicht los, dass Helene und Alexander an den Grenzen noch schlechter behandelt werden als wir, ob es wohl mit ihrer Umsiedlung in die BRD zusammenhängt.

23:00 glückliche Ausreise aus der russischen Föderation

23:05 Wir stehen vor dem Grenzkontrollpunkt für die Einreise nach Kasachstan. Welche Gründe mag  es wohl hier für die Forderung von Wegezoll geben. Und tatsächlich mal was ganz Neues: Einreiseverweigerung, weil in unseren Visa nicht die Anreise per PKW vermerkt ist. Hallo, wir haben ein  „Transitvisum“ und somit die amtliche Erlaubnis Kasachstan mit dem Ziel Kirgistan zu durchqueren. Außerdem wurde bereits im Visaantrag die Reiseform abgefragt. Es ist einfach nur nervig! Und all das, obwohl offiziell  ein Teil der ehemaligen GUS Staaten pro westlich ausgerichtet sein will?

06.10.2004 1:10 Ortszeit  Die Schranke öffnet sich und wir können endlich weiterfahren. Wie viel wir für die Grenzübertritte und die Polizeikontrollen in Geld und Naturalien bisher aufwenden mussten, weiß ich nicht, aber mir schwant Furchtbares. Zu Hause ist Zeit für den Kassensturz, jetzt wollen wir uns auf keinen Fall von diesen Machenschaften unsere gute Stimmung vermiesen lassen.
Dirk und ich überlegen, ob es für all das eine Entschuldigung gibt. Vielleicht sind die Beamten auf diesen „Nebenverdienst“ angewiesen, um ihre Familien zu unterhalten.

50 m hinter der Grenze ein ganz praktisches Problem. Ein LKW hat sich total im Schlamm eingebuddelt und der Auflieger steht quer auf der Fahrbahn. kasachstan_2133741637_oDem LKW wurde die Einreise verweigert und so musste er hier drehen. Ein paar Pkws riskieren vorbei zufahren und stecken auf dem Acker fest. Natürlich steigen unsere Männer aus, um zu helfen. Ich denke an die lange Fahrstrecke, die noch vor uns liegt und lege mich erneut hin, um eine Mütze Schlaf zu tanken.

Endlich, wir fahren auf schlechter, unbeleuchteter Straße durch das nächtliche Kasachstan. Junus hat mal wieder Hunger und so machen wir gegen morgen Halt an einer kleinen Raststätte. Er geht essen, wir legen uns lieber aufs Ohr.

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